Nehmt uns ernst | Projekt campusID für Jugendliche

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Standbild aus dem Film Nehmt uns ernst

 

Ein Projekt der Evangelischen Militärseelsorge, Arbeitsfeld Seelsorge an unter Einsatz- und Dienstfolgen leidenden Menschen (ASEM) – Leitung: Militärdekan Christian Fischer

Die Idee für das Projekt campusID entstand während eines Besuches auf dem Campus des Zentrums Informationsarbeit Bundeswehr (ZinfoABw) in Strausberg. Unter dem Dach dieses Kompetenzzentrums der Informationsarbeit (Presse-, Öffentlichkeits- und Medienarbeit) der Bundeswehr finden sich fünf Bereiche an zwei Standorten wieder. Direkt gegenüber liegt die von-Hardenberg-Kaserne, der das Kommando Heer sowie u. a. Teile des Bundesamtes für Infrastruktur, Umweltschutz und Dienstleistungen, Kommandobehörden sowie weitere militärische und zivile Dienststellen und Einrichtungen angehören. Sie zählt zu den größten militärischen Kasernenobjekten Deutschlands. Auf dem Campus befinden sich Hörsäle, Filmstudios, ein Kino, Konzerträume, eine Kegelbahn, eine Beachvolleyball-Anlage, Unterkünfte und die größte Bibliothek der Bundeswehr – mit über einer Million Medien. Oder anders gesagt: Dieser Campus war ideal für ein Projekt mit kreativen Jugendlichen.

Militärdekan Christian Fischer und ich kreierten das Konzept für Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren, deren Väter und Mütter seit ihrem Auslandseinsatz in Afghanistan unter PTBS leiden.

Vom 16.07. – 20.07.18 fand der 1. ART DIGITAL MEDIA WORKSHOP auf dem Campus statt. Unter dem Motto: Dreh deinen eigenen Film – Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wer bin ich? – konnten sich die Kids für die Veranstaltung bewerben (siehe Flyer).

Basierend auf den Ergebnissen der unabhängigen 17. Shell Jugendstudie 2015 produzierte ich einen 8-minütigen Videoclip als Teaser (s.u.) für die Kids. Er sollte sie zu Beginn des Workshops inspirieren, ihr eigenes Thema zu finden und sich auf eine Arbeitsweise festzulegen. Mögliche Ansätze waren:

Freizeit – Geselligkeit und Internet
Blick auf das Internet – kritisch, differenziert – Nutzung ungebrochen
Der Alltag im Internet – Unterhaltung, Information, interaktiver Austausch
Trendwende beim politischen Interesse
Gesellschaftliche Prioritäten
Diskriminierungen im Alltag – unterschiedliche Blickwinkel
Interesse am Weltgeschehen – Umwelt
Gesellschaft – weniger Lust auf Kontakte

Vielfach wird der jungen Generation eine starke Selbstbezogenheit unterstellt und ein Hang zu reiner Spaßorientierung. Zu meinem Erstaunen entschieden sich die 6 Jugendlichen aber als Gruppe zu arbeiten – und zwar an einem sehr ernsten Thema. Der Arbeitstitel Flashbacks wurde schnell gefunden.

Ich vermutete, die Einbindung in das Kasernenleben habe zu dieser Entscheidung beigetragen. Das erwies sich im Verlauf als Irrtum. Je länger und intensiver das Projekt wurde, desto mehr spiegelte sich das Thema im Verhalten der Jugendlichen. Aus dem Arbeitstitel Flashbacks wurde in der Postproduktion der Aufruf: „Nehmt uns ernst“.

Die Kids …

erarbeiteten Ideen für das Filmprojekt
erstellten ein Storyboard
wählten Sets & Drehorte aus
beschafften Requisiten und Kostüme
verfassten Texte (ON- und OFF-Text)
arbeiteten mit und in der Greenbox
führten Kamera & Regie
beteiligten sich am Videoschnitt

Wichtig erschien mir für den Perspektivenwechsel jedes einzelnen ein ständiger Rollenwechsel innerhalb der Gruppe, z. B. vom Kameramann zum Schauspieler oder vom Regisseur zum Statisten und umgekehrt.

Da das Projekt campusID in den Schulferien stattfand, durfte natürlich auch der Ausgleich nicht zu kurz kommen – in Form von gemeinsamen Aktivitäten wie Radfahren, Tretboot- und Kanufahren, Schwimmen, Kegeln. Aber auch die selbstbestimmte Verwendung der Zeit war wichtig. Die Jugendlichen zeigten ein großes Bedürfnis nach Ruhe. In allem wurden wir unterstützt von einem weiblichen bzw. männlichen Kinderbetreuer.

Unbewusste Weitergabe von Traumata

Das Videoprojekt zeigt deutlich, wie sich Nervosität, Angst und Reizbarkeit der Eltern auf die Kinder überträgt. Oft beziehen Kinder ihr „eigenartiges“ Verhalten auf sich, fühlen sich nicht verstanden oder irgendwie schuldig. Die Kids neigen dazu, Verantwortung für das Leiden der Eltern zu übernehmen und entwickeln entsprechende Schuldgefühle. Die Kommentare und Videosequenzen machen transparent, wie die Kindheit der Protagonisten eingeschränkt wird.

So ist es manchen Vätern nicht möglich, auf einer freien Wiese mit ihren Kindern Fußball zu spielen. Es kann zu Schwierigkeiten in größeren Menschenmengen kommen, zu Anspannungen beim Autofahren oder Sirenengeräuschen. Einige Jugendliche kennen kein übliches Silvester, keine gemeinsamen Partys oder Besuche in Freizeitparks. Selbst lautes Knacken von Kartoffelchips kann Tabu sein. Computerspiele werden nur mit Headset gespielt – Shooter Spiele gar nicht. Sogar normales Einkaufen im Supermarkt mag zur Herausforderung werden – manche Kinder übernehmen dabei die Funktionen von Bodyguards – speziell an der Kasse, wo die Väter die Nähe anderer Kunden nur schwer aushalten.

Für das ganze Team war es eine eindrückliche Erfahrung, wie man mit Hilfe von digitalen Tools Übertragungen und Folgen von Posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) bei Soldaten/innen der Bundeswehr auf ihre Kinder aufzeigen kann – um so mit der Verarbeitung zu beginnen.

Mein besonderer Dank geht an die Studiogruppe „Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr“ auf dem Campus in Strausberg. Ohne das Team unter der Leitung von Stabsfeldwebel Torsten Zimmer hätte dieses Projekt nicht realisiert werden können. Besonders die Kinoaufführung des fertigen Films „Nehmt uns ernst“ hat, sowohl bei den Jugendlichen als auch bei mir, Spuren hinterlassen.

Ich bin beeindruckt von der Leistung der Teilnehmer des Projekts campusID. Am liebsten würde ich den Film gern der ganzen Welt zeigen – kann dies zum Schutz der Jugendlichen und ihren Familien natürlich aber nicht tun. Umso mehr freue ich mich, dass das Projekt fortgeführt wird.

 

Auftraggeber: Handlungsbereich Evangelische Seelsorge in der Bundeswehr (HESB)

Studiogruppe: Zentrum Informationsarbeit Bundeswehr (ZinfoABw) – Über uns

Organisation: Mona Hammer u. Thomas Düsing

Konzeption & Realisation: Volko Lienhard

Veröffentlicht von

Volko Lienhard is a photographer and filmmaker who is renowned for his striking fashion imagery and portraiture. He has also recently ventured into film directing, notable Jay Jay Johanson project, and the St.Emile campaign with top model Malgosia Bela. He has worked with artists, like Thievery Corporation and Princess Superstar. Lienhard´s work has been featured in a number of exhibitions in Japan. He lives and works in Hamburg. STERN.DE | One of my new projects is LIENHARD DRIVE